Geschichte

Die Marburger Zahnklinik – eine Klinik mit Tradition

Zusammengestellt für die Studierenden der Zahnheilkunde in Marburg von Prof. Dr. K. M. Lehmann (Stand Februar 2014)

Im April 1890 wurde an der damals zu Preußen gehörenden Marburger Universität ein zahnärztliches Institut gegründet. Damit ist die Marburger Klinik nach Leipzig und Berlin (beide gegründet 1884) die älteste in Hessen und die drittälteste auf dem Gebiet der Bundesrepublik. Sie ist gleich alt wie etwa die Zahnklinik in Breslau, dem heutigen Wrocław, oder das Dental College in Tokyo, aber genau ein halbes Jahrhundert jünger als jenes in Baltimore (USA). Ein Jahr vor der Gründung des Marburger Instituts war für das Deutsche Reich eine einheitliche Prüfungsordnung für Zahnärzte erlassen worden. Das Studium dauerte damals vier Semester und musste durch eine mindestens einjährige praktische Tätigkeit bei einem Zahnarzt oder einem Zahnärztlichen Institut ergänzt werden. Nach diesen Vorgaben erfolgte die zahnmedizinische Ausbildung jedoch nur für die nächsten 20 Jahre.

Die geringen Haushaltsmittel des neu gegründeten Marburger Zahnärztlichen Instituts stammten aus einer Stiftung und die Praktikanten mussten eine Studiengebühr bezahlen. Obgleich sich das in der Ketzerbach angesiedelte Institut positiv entwickelte, musste der erste Direktor Julius Witzel im Jahre 1898 Marburg aus wirtschaftlichen Gründen verlassen. Auch Witzels Nachfolger Albrecht (1898- 1903) bezog kein Gehalt. Dasselbe galt auch für Reich (1903- 1909), aus dessen Feder die erste exakte Beschreibung des irregulären Dentins stammt.

Erst ab dem Jahre 1909 wurde das Institut vom preußischen Staat voll finanziert. Im diesem Jahr trat für das Deutsche Reich eine neue Approbationsordnung für Zahnärzte in Kraft. Sie setzte für das Studium der Zahnheilkunde das Abitur voraus und verlagerte die zahnärztliche Ausbildung mit einer Dauer von sieben Semestern komplett an die Universitäten. Dies war die Voraussetzung für die Promotion zum Dr. med. dent. die ab 1919 möglich wurde.

Nach dem nächsten, nun fest besoldeten Institutsleiter Schellhorn (1909- 1911) führten Fischer bis 1919 und Seidel von 1920 bis 1933 das Institut. Fischer machte sich international einen Namen durch die Einführung der Lokalanästhesie in die Zahnheilkunde. Auch Seidel arbeitete auf diesem Gebiet. Er muss bei den Studierenden sehr beliebt gewesen sein, da sie ihn zum Ehrenmitglied ihrer Vereinigung ernannten. Seidel wurde 1931 Dekan der Medizinischen Fakultät.

Mit Seidels Berufung im Jahre 1920 war die Erweiterung des Instituts um Räume im ehemaligen physikalischen Institut am Renthof verbunden. Nach Seidels frühem Tod im Jahre 1933, bis zum Ende des zweiten Weltkrieges, war Fliege Institutsdirektor. Er wurde 1945 von der amerikanischen Militärregierung wegen seiner Tätigkeit in nationalsozialistischen Organisationen seines Amtes enthoben. In den Jahren danach gab es mehrere kommissarische Institutsleiter, bis 1951 Prof. Hans Heuser auf den neu geschaffenen Lehrstuhl für Zahnheilkunde berufen wurde.

1952 wurde der bisher neben der akademischen Ausbildung zum Zahnarzt mögliche Werdegang zum Dentisten abgeschafft, wodurch die Ausbildung zum Zahnarzt nur noch über ein Universitätsstudium möglich war. 1955 trat eine neue Approbationsordnung für Zahnärzte, mit einem nunmehr zehnsemestrigen Studiengang in Kraft. Spätestens seit dieser Zeit ist die Zahnheilkunde ein gleichwertiges Teilgebiet der Humanmedizin. Diese Approbationsordnung hat im Prinzip noch heute Gültigkeit, weshalb seit längerer Zeit an einer neuen Approbationsordnung gearbeitet wird, welche den heutigen Anforderungen Rechnung tragen soll.

Auch Heuser war Dekan der Marburger Medizinischen Fakultät. Er konnte schließlich den schon lang gehegten Plan eines Neubaus der Zahnklinik verwirklichen. 1964 wurde die neue Klinik am heutigen Standort am Ortenberg eingeweiht. Sie stellte zweifellos die Krönung des beruflichen Lebenswerks Heusers dar. Die Klinik wurde als eine der modernsten Europas bezeichnet, war für eine Aufnahmekapazität von 25 Studierenden pro Semester konzipiert und berücksichtigte die damals beginnenden Gliederung des Faches in seine vier Kernfächer Kieferchirurgie, Zahnerhaltung, Zahnersatzkunde und Kieferorthopädie. Eine wichtige Neuerung war die Bettenstation zur stationären Behandlung von Patienten. Heuser als Ordinarius und Klinikleiter übertrug in den Folgejahren die Wahrnehmung der einzelnen Fachgebiete an Mitarbeiter, die sich fast alle bei ihm habilitierten oder habilitiert hatten.

Nach dem Tod Heusers im Januar 1973 wurde Prof. Hering zum kommissarischen Leiter der Klinik bestellt. Seit 1979 wird die Klinik von einem auf Zeit gewählten geschäftsführenden Direktor geleitet. Hering war ab 1979 der erste Geschäftsführende Direktor der Klinik bis er 1981 das Amt des Dekans der Medizinischen Fakultät und des Ärztlichen Direktors des Universitätsklinikums übernahm. Nach Hering nahmen das Amt des Geschäftsführenden Klinikdirektors folgende Professoren wahr: Ahrens (1981-1982); Lehmann (1982-1986 und 1992-1994); Stachniss (1986-1990, 1994-1996 und 2000-2002); Austermann (1990-1992); Pieper (1996-2000); Lotzmann (2002-2009); Neff (2009-2012) und ab 2012 Frankenberger.

Ab Anfang der siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts war der Studiengang Zahnheilkunde in der Bundesrepublik so nachgefragt, dass die Universitäten Zulassungsbeschränkungen erlassen mussten. Die zahlreichen Klagen auf Zulassung und die richterliche Überprüfung der Ausbildungsmöglichkeiten führten dazu, dass die Zahl der Studienanfänger im Fach Zahnheilkunde in Marburg um rund fünfzig Prozent von 25 auf 35 bis 40 pro Semester anstieg.

1990 wurde das hundertjährige Bestehen der Klinik mit einer Festveranstaltung gefeiert. Die Klink fühlte sich nach weiteren Neuberufungen in den letzten Jahren sicher und gut aufgestellt. Es gab viel Lob, der damalige Minister für Wissenschaft und Kunst des Landes Hessen merkte in einem Vorwort in der zu diesem Anlass herausgegebenen Festschrift an, dass es der Marburger Zahnklinik gelungen sei „sich insbesondere durch eine zukunftsweisende Konzeption ihrer Abteilungen und Funktionsbereiche, sowie durch Mitarbeit an internationalen Projekten einen sehr guten Ruf zu sichern“.

Die trotzdem 1995 von der Hessischen Landesregierung angekündigte Schließung der Marburger Zahnklinik kam daher unerwartet, konnte aber dank des heftigen Protestes der Marburger Zahnmediziner und des hohen Leistungsstandards der Klinik abgewendet werden. Im Jahre 2004 wurde der bis dahin selbständige Bereich Zahnärztliche Propädeutik und Kiefer- Gesichtsprothetik in die Prothetische Abteilung eingegliedert.

Im Jahre 2005 wurde das Universitätsklinikum Marburg (samt Zahnklinik) mit demjenigen Gießens zum Universitätsklinikum Gießen und Marburg zusammengeführt und 2006 vom Land Hessen an einen privaten Krankenhausträger, die Rhönkliniken AG, verkauft. Der Verkauf betraf aber nur den Bereich der Krankenversorgung, die Bereiche Forschung und Lehre verblieben beim Fachbereich Medizin, also bei der Universität. Es ist dies ein einmaliger Vorgang, dem bisher auch kein anderes Bundesland gefolgt ist.

2009 wurde eine von einem Unternehmen der Dentalindustrie unterstützte Stiftungsprofessur für Biomaterialien eingerichtet, was 2011 zu einer entsprechenden Berufung führte. Ebenfalls 2011 wurde die schon länger geplante Verlegung der Mund-, Kiefer und Gesichtschirurgie in das Universitätsklinikum auf den Lahnbergen realisiert, der Bereich blieb aber bis jetzt Bestandteil des zahnmedizinischen Zentrums.

Die Klinik hat sich seit ihrem Bestehen darum bemüht, dass die personelle, räumliche und apparative Ausstattung den steigenden Anforderungen von Forschung, Lehre und Krankenversorgung genügt. Auf allen Gebieten der Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde wurden wissenschaftliche Projekte erfolgreich bearbeitet. So stammt zum Beispiel nicht nur das Standardwerk für den zahnärztlich- vorklinischen Unterricht aus der Marburger Klinik, sondern auch der offizielle periodische Bericht über den Kariesbefall von Kindern und Jugendlichen in Deutschland. Das rege wissenschaftliche Leben der Klinik verdeutlichen auch die zahlreichen Dissertationen und Habilitationen für das Fach.

Das Marburger Medizinische Zentrum für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde ist nach wie vor leistungsbereit und leistungsstark sowie aufmerksam gegenüber allen Neuerungen im Fach. Das Wohl der Patienten und die wissenschaftlich fundierte, praktische und theoretische Ausbildung der Studierenden der Zahnheilkunde sowie eine qualitätsorientierte Zahnheilkunde sind das Anliegen aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.